Unversöhnlichkeit – „Verzeih´, dass ich nicht vergeben kann!“

„Verzeih, dass ich nicht vergeben kann!“
Das Phänomen der Unversöhnlichkeit

Jeder von uns kennt sie: Menschen, die nachtragend sind, die nicht vergeben können und die ollen Kamellen immer wieder aufwärmen. Unversöhnliche Zeitgenossen. Was ist Unversöhnlichkeit genau? Wie kommt sie zustande? Was bewirkt sie? Und gibt es Auswege?

BEGRIFFSKLÄRUNG
Auch wenn manche gerne die „Vertöchterung“ neben die „Versöhnung“ gestellt wissen möchten: „Versöhnung“ kommt etymologisch von „Sühne“. Damit ist gemeint, für ein Unrecht eine Sühneleistung bzw. eine Strafe auf sich genommen zu haben. Der Unversöhnliche ist also entweder der Schuldige, der nicht zu einer Sühne bereit ist, oder der Geschädigte, der keine Entschuldung zulässt.

URSACHEN der UNVERSÖHNLICHKEIT
Gerne unterstellt man dem Unversöhnlichen einen schlechten Charakter oder schlicht den fehlenden Willen zur Versöhnung. Das mag in Einzelfällen zutreffen, aber oft wird übersehen, dass der Unversöhnliche für sein Verhalten auch seine Gründe haben mag. Vielleicht wurde er nicht oder unangemessen um Vergebung gebeten. Vielleicht spürt er keine Reue beim Täter. Vielleicht wartet er auf eine Wiedergutmachung. Vielleicht fällt ihm die Versöhnung schwer, weil es sich um einen Wiederholungstäter handelt. Wie viele Demütigungen und körperliche Misshandlungen kann jemand aushalten, oder wie viel Untreue ist tolerierbar? Auch bei den Frömmsten wird die biblische Zahl von 490 Mal selten erreicht (vgl. Matthäus Evangelium 18:21-22).
Wir kennen die Sätze vom „unverzeihlichen Fehler“. Aber was ist wirklich unverzeihlich? Wenn der Schaden nicht mehr beglichen werden kann? Wenn ein Mensch zu Tode kam? Wenn Absicht dahinter lag?
Es gibt aber auch Menschen, die für ihr handeln nicht verantwortlich sind. Wenn beim Täter keine „Schuldfähigkeit“ vorliegt, dann „gibt es da nichts zu entschuldigen!“, oder? Dann ist diese Person wohl die Ursache für den entstandenen Schaden, aber sie ist nicht schuld.
Ein Missverständnis ist die häufig zitierte, aber dennoch falsche Behauptung, vergeben heiße vergessen. Dem ist nicht so! Wem gravierende Schuld wiederfahren ist, wird diese ziemlich sicher nie mehr vergessen. Nach einer Vergewaltigung in einem Parkhaus wird jede Einfahrt in die Tiefgarage zu einer ungewollten „Erinnerung“. Das schließt nicht aus, dass das Opfer dem Täter verziehen hat. Es ist eine Unterstellung, dass wer nicht vergessen kann, auch nicht verziehen hat.
Wir müssen uns hüten, mit zweierlei Maß zu messen. Wenn wir Unrecht begangen haben, erwarten wir nach einer entschuldigenden Geste, dass uns Vergebung gewährt wird. Aber wenn wir Unrecht erlitten haben, erlauben wir uns durchaus, die Bitte um Verzeihung des anderen zu bewerten: Ist sie ehrlich oder war sie nur eine Floskel? War sie in Art und Umfang dem Unrecht angemessen? Zeigt der Täter Reue? Kann und will er eine Wiedergutmachung leisten? Wir behalten uns vor, die Entschuldigung anzunehmen.

UNVERSÖHNLICHKEIT hat FOLGEN
Zunächst einmal für den „Schuldigen“. Wer Vergebung sucht, aber nicht erhält, der trägt oft lange an seiner Last. Die Bürde nicht vergebener Schuld kann zu Veränderungen der Persönlichkeit führen, depressive Symptome hervorrufen und auch psychosomatische Beschwerden auslösen. Interessanterweise gerät man oft in das Dilemma, dass man zwar weiß, dass Gott einem vergeben hat, aber die Schuld drückt weiter auf einem, weil der Mensch die Entschuldigung nicht gewährt hat. Ist es beim biblischen Gleichnis vom verlorenen Sohn nicht tragisch, dass es zwar zu einer Versöhnung, nicht aber zu einer Verbrüderung kommt?!
Aber auch für den „Unversöhnlichen“, den „Schuldner“, kann dieses Verhalten wie ein Bumerang zurückfallen: Seine anhaltende Unversöhnlichkeit gleicht einer inneren Verhärtung. Man wird zunehmend „gnadenlos“ und unbarmherzig. Als „Opfer“ verharre ich damit ungewollt auch in dieser Rolle und werde das erlebte „Trauma“ kaum los. Ich schleppe es mit durch mein Leben und vergehe evtl. vor Selbstmitleid. Meist wird übersehen, dass der Unversöhnliche sich damit selbst keinen Gefallen tut. Abgesehen davon ist es auch möglich, dass ihm selbst einmal ein Unversöhnlicher begegnet. Dann würde er selbst erleben und spüren, wie man sich auf der anderen Seite fühlt.
Ein weiterer spezieller Aspekt ist die Unversöhnlichkeit gegenüber Gott. Manche Menschen hadern mit dem Schicksal oder dem Allmächtigen, weil sie die Bürde die sie zu tragen haben, als ungerecht empfinden.

Ein letzter Aspekt: Es gibt Menschen, die mit sich selbst unversöhnlich sind. „Das kann ich mir nie verzeihen!“ hört man Menschen sagen, die mit sich selbst nicht eins sind. In allen genannten Fällen hat man keinen zufriedenen oder glücklichen Menschen vor sich.

WEGE in die UNVERSÖHNLICHKEIT
Wahrscheinlich suchst Du eher einen Weg zur Versöhnlichkeit als den in die Unversöhnlichkeit. Aber – mit etwas Augenzwinkern – kann auch die Anleitung zur Unversöhnlichkeit im Kasten am Ende des Artikels zeigen, wie Versöhnung sehr lange dauert oder unmöglich wird.
Demjenigen, der auf Versöhnung wartet, darf man sagen: Versöhnung mit einem Menschen lässt sich nicht erzwingen. Demjenigen, der unter seiner eigenen Unversöhnlichkeit leidet darf man sagen: Prüfe Dich selbst und stelle Dir z.B. folgende Fragen: Warum fällt mir Versöhnung schwer? Ist das immer so, oder gab es auch Ausnahmen? Ist der Täter für seine Tat verantwortlich? Was macht Versöhnung leichter? Liegt es daran, dass der Täter seine Schuld nicht einsehen will? Was müsste der Täter sagen oder tun, damit ich ihm verzeihen könnte? Streiche den Satz: „Das verzeihe ich dir nie!“ aus deinem Repertoire und ersetzt ihn durch die Formulierung: „Ich kann Dir verzeihen, wenn Du …!“. Ist meine Forderung nach Wiedergutmachung angemessen und erfüllbar oder „vernichte“ ich damit den anderen? Könnte ich, wenn ich wollte, ihm sogar vergeben, wenn er keine Reue zeigt?

WEGE zur VERSÖHNUNG
Viele versuchen es mit einem „Trick“, der durch den paradoxen Satz: „Ich entschuldige mich!“ zum Ausdruck kommt. Wer entschuldigt eigentlich wen? Hier entschuldigt der Täter sich selbst, was gar nicht geht. Die korrekte Formulierung müsste lauten: „Ich bitte um Entschuldigung!“ Die Entschuldung kommt vom Opfer! Aber bei größeren Vergehen ist eine einfache verbale Entschuldigung in der Regel nicht mehr ausreichend. Da muss man schon in aller Form um Verzeihung bitten, Erklärungen liefern, Reue zeigen, Besserung ankündigen, Wiedergutmachung anbieten oder gar eine Strafe auf sich nehmen.
Es kann hilfreich sein, sich klar zu machen, dass Vergebung ein Prozess ist, der emotionale und gedankliche Prozesse beinhaltet. Zum einen wird dadurch deutlich, dass es Zeit braucht, bis Vergebung „abgeschlossen“ ist. Zum anderen verstehen wir dann besser, warum Kopf- und Bauchgefühl manchmal (noch) nicht überstimmen. Am Anfang steht i.d.R. der Entschluss zur Vergebung. Versöhnung ist also durchaus auch Willenssache. Weitere z.T. widersprüchliche Gedanken und Gefühle begleiten dann diesen Prozess.
Im alten Israel wurde Versöhnung zelebriert. Es gab ein Procedere, es gab Opfer, es gab einen großen Versöhnungstag. Wir können davon lernen. Wenn aus der Versöhnung eine „Zeremonie“ gemacht wird (nicht im kultischen oder mystischen Sinne), dann wird sie eher erlebbar und spürbar. Dabei kann es sich um einen Brief handeln, eine nonverbale Geste oder sonst eine Handlung. All das kann eine Hilfe zur Versöhnung sein.
Sicher gibt es kein Rezept, welches in allen Fällen zu einer Versöhnung führt. Wichtig ist aber in allen Fällen, dass die Beteiligten sich miteinander auseinandersetzen, ins Gespräch kommen und eine Einigung anstreben.

FAZIT: Es lohnt sich, nicht nachtragend zu sein, sondern Versöhnungsbereitschaft zu zeigen. Es lohnt sich für den, dem Verziehen wird. Und es lohnt sich für den, der verzeiht. Versöhnungsbereitschaft lässt sich lernen!

10 TIPPS für eine ERFOLGREICHE UNVERSÖHNLICHKEIT

1) Triff die Entscheidung, dass es „Unverzeihliches“ gibt!
2) Fertige Dir eine ausführliche Liste unverzeihlicher Fehler an. Lerne Sie am besten auswendig!
3) Sorge für eine solide Buchführung der unverzeihlichen Fehler Deiner Mitmenschen in einem Tagebuch. Zumindest aber vergiss die mentale Speicherung nicht!
4) Sei gegenüber Entschuldigungen anderer prinzipiell misstrauisch! Akzeptiere generell die ersten sieben Entschuldigungen auf keinen Fall und prüfe damit deren Echtheit!
5) Verlange eine schriftliche Entschuldigung, wenn Du eine mündliche erhältst!
6) Verlange eine öffentliche Entschuldigung, wenn Du eine schriftliche erhältst!
7) Verlange eine eidesstattliche Entschuldigung, wenn Du eine öffentliche erhältst!
8) Erwarte unbedingt, dass der andere den Anfang macht, und zeige keine Schwäche, indem Du auf ihn zugehst!
9) Zeige die Größe des Vergehens auch dadurch an, dass Du auf frühere hinweist. Lass nicht zu, dass aus einem Elefanten eine Mücke gemacht wird!
10) Lass Dich auf keine Kompromisse ein, denn es geht um die Wahrheit!

© Matthias Dauenhauer

Dieser Artikel erschien in erweiterter Fassung im November 2005 in der Zeitschrift „Adventecho“ (Auflage 25.000 Exemplare). Der Originalfassung kann unter: http://www.advent-verlag.de/cms/cms/upload/adventecho/pdfs/AE-2005-11-01-Dauenhaer.pdf abgerufen werden.

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