Meine Urgroßmutter

Ich hatte noch das große Glück, mit einer Uroma groß zu werden. Und heute ist der Tag, wo ich diese Frau, die mich sehr beeindruckt und auch geprägt hat, hier zu Wort kommen lassen und sie damit ehren möchte.

Meine Uroma lebte von 1889 bis 1982. So habe ich sie immerhin bis zu meinem 17.Lebensjahr erleben dürfen. Sie war eine kleine Frau, die innerlich aber ziemlich groß war. Ich habe sie als eine wirklich weise und gütige Frau erlebt. Einer ihrer Aussprüche begleitet mich seit vielen Jahren durchs Leben und hat mir oft geholfen, wenn es mir gerade nicht gut – oder auch wirklich schlecht – ging.

Dieser Satz heißt: „Kein Unglück ist so groß, als dass nicht noch ein Stückerl Glück dabei wäre.“

Meine Uroma hat zwei Weltkriege erlebt. Wenn sie von Unglück sprach, wusste sie, was sie meinte. Sie hatte wirkliches Unglück erlebt, erlitten und überlebt. Es hat sie nicht hart und verbittert gemacht, sondern weich und weise. In ihrem Satz spricht sie nicht nur von Unglück, sondern sie sagt „kein“. Es gibt also keine Ausnahme. Jedes Unglück, was einem widerfahren mag, ist von ihr gemeint. Es kann nicht so hart kommen, dass ihre Weisheit keinen Bestand mehr hätte. Weiter sagt sie, dass da ein „Stückerl Glück“ dabei wäre. Hier geht es also nicht um den großen Ausgleich, dass man für großes Unglück irgendwann großes Glück erwarten dürfte. Nein, ein kleines Stück ist gemeint. Es gibt also diesen Funken Hoffnung, der einen ermutigen kann, weiter durchzuhalten oder zu kämpfen, denn da ist irgendwo versteckt ein Stückchen Glück.

Wann immer ich in solchen Situationen in meinem Leben war, wo ich mich fragte, was das alles soll, welchen Sinn das alles haben könnte, half mir Omas Satz. Ich habe vor Jahren beschlossen, dass dieser Satz der einzige in meinem Leben sein soll, den ich nicht hinterfragen werde, sondern der immer gültig sein soll. Und wenn es dann eben dicke kam und ich verzweifelte und aufgeben wollte, dann dachte ich an meine Uroma und ihren Satz. Und dann fing ich an, zu suchen. Das „Stückerl Glück“. Natürlich habe ich es oft nicht gefunden, wenn ich in der Misere drin steckte. Aber ich hielt daran fest, dass es da sei, dass Oma einfach Recht hat. Es konnte dann jeweils nur an meiner Perspektive liegen oder daran, dass ich noch nicht gründlich genug geschaut hatte. Irgendwann würde ich das kleine Glück finden. Dessen war ich mir immer sicher. Und deswegen habe ich nie aufgegeben. Und bisher habe ich auch immer etwas gefunden, was dem Stückchen Glück entsprach. Manchmal hat es Jahre gedauert, bis mir klar wurde, was das Glück an jener längst überstandenen Krise war. Gelegentlich ging es auch schneller. Aber die Oma hat immer Recht behalten. Mich hat das durch viele Krisen getragen. Danke Oma Marie!

© Ulrike Dauenhauer

Ein Gedanke zu „Meine Urgroßmutter

  1. Ja, auch ich erinnere mich an sie, an ihr liebes, wunderschön verrunzeltes Gesicht – und an ihre Weisheiten. Ein grosses Vorbild, obwohl sie selbst viel kleiner war, als ich es bin. Wie wahr ihr Motto war, erlebte auch ich schon sehr oft – manchmal hält erst viel später. Ich bin ihr sehr dankbar dafür. Ich werde sie nie vergessen.

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