Klartext

Wer Klartext redet, riskiert, verstanden zu werden. - www.doppelpunkt-praxis.de

„Ja wie jetzt, ich will doch verstanden werden!“, wird wohl mancher denken. Immer? Will ich wirklich immer verstanden werden? Oder gibt es auch Situationen, wo es mir ganz recht ist, wenn ich nicht gleich verstanden werde?
Warum reden dann so viele Menschen per „man“ statt per „ich“? Warum wird dann so gerne verallgemeinert? Hinter Verallgemeinerungen und Aussagen per „man“ kann ich meine eigene Meinung verstecken. Da habe ich bei Gegenwind oder Fragen die Möglichkeit, mich rauszureden. Wenn ich spreche, höre ich mir immer auch selbst zu. Jedes Reden ist auch eine Form der Selbstbeeinflussung. Wenn ich also per „man“ spreche, vermittle ich mir selbst etwas über mich. Ich gebe mir selbst den Eindruck, dass es um eine Reihe anderer Leute geht, nicht aber um mich. Nehmen wir mal ein Beispiel: Mein Vater pflegte zu sagen: „Man müsste mal wieder das Auto waschen.“ Da war er in gewisser Weise fein raus. Er appellierte an seine Zuhörer, Frau und Kinder, gab aber keinen konkreten Auftrag oder Befehl. Es klang ganz harmlos und so erschien er sich dann vermutlich auch. Für uns war dennoch klar, dass WIR SEIN Auto waschen sollten. Das haben wir auch immer brav gemacht. Aber für sich blieb er unklar und vernebelte sein Bild von sich selbst. Das wirkte vermutlich wie ein Weichzeichner beim Foto. Er erschien sanfter für sich. Klar wäre gewesen, wenn er gesagt hätte: „Könnt ihr mir bitte das Auto waschen?“ Was aber hätte er damit gesagt? Er hätte sich ein wenig demütig gezeigt. Denkbar wäre auch gewesen: „Ihr wascht heute Nachmittag das Auto!“ Das wäre ein Befehl gewesen und hätte ihm selbst – und uns – ein anderes Bild von ihm vermittelt. Klare Hierarchie. Gegen die hätten wir vielleicht aufbegehrt. Wir hätten den Klartext verstanden und wären womöglich nicht damit einverstanden gewesen. So konnte er Teile seiner Persönlichkeit vor sich und uns verschleiern oder eben weichzeichnen.
Somit sind wir wieder bei der Frage: Will ich wirklich verstanden werden?
Wenn ich jemandem etwas Unangenehmes sagen will oder muss, ist das bisweilen nicht einfach. Ich muss damit rechnen, dass der andere darauf wenig erfreut reagiert. Auch hier habe ich die Möglichkeit, mit bestimmten Floskeln oder Formulierungen dafür zu sorgen, dass es erstmal „ganz nett“ klingt. In besonderer Form kennen wir das aus Arbeitszeugnissen, wo freundlich verpackt ziemliche Abwertungen oder negativ Bewertungen abgegeben werden können. Wenn man gelernt hat, diese Formulierungen zu lesen, versteht man sehr wohl, dass das, was im ersten Moment so positiv klingt, eine harte Kritik ist. Wer da Klartext redet, riskiert Ärger vor dem Arbeitsgericht. Das Zeugnis darf nicht offen negativ sein, schreibt der Gesetzgeber vor. Aber selbst im privaten Lebensbereich überlege ich gut, wie klar ich jemandem meine Meinung sage. Viele Menschen beenden Beziehungen heute indem sie einfach irgendwann nicht mehr reagieren. Es gibt in meinem Umfeld Menschen, da warte ich nun schon seit Monaten auf eine Mailantwort. Ich finde das traurig und verunsichernd, wenn ich nicht weiß, warum der andere nicht mehr mit mir redet. Auch wenn es nicht schön ist, zu hören, womit ich den anderen verärgert oder verletzt habe, gäbe ein klares Wort mir die Möglichkeit der Reaktion. Die aber will mein Gegenüber nicht oder fürchtet sie gar. Also wird nicht Klartext geredet.
Klartext reden heißt, ich übernehme Verantwortung für mein Reden und Handeln. Für mich ist das eine gute, aufrechte Haltung, die meine eigene Stärke zeigt und für mein Gegenüber fair ist. Ich kann mich damit abgrenzen von Menschen, die mit ihrem Handeln meine Grenzen überschreiten. Damit gewinne ich Kraft und verschaffe mir Respekt. Für mich hat Klartext viele positive Aspekte, erfordert aber auch Mut und die Fähigkeit, Dinge so zu sagen, dass ich den anderen damit nicht angreife, sondern Möglichkeiten für einen neuen Umgang eröffne.
Von daher möchte ich ermutigen, mehr Klartext zu reden. Für sich und für den anderen.

Autor: Ulrike Dauenhauer – http://www.doppelpunkt-praxis.de

Frieden machen

Jemandem entgegen kommen, heißt auch, die Waffen fallen lassen. www.doppelpunkt-praxis.de

Immer wieder mal kommt es vor, dass wir mit jemanden in Konflikt geraten sind. Irgendetwas ist geschehen, jemand hat etwas gesagt oder getan und schon ist da Streit. Wenn mir das passiert, geht es mir schlecht, sehr schlecht. Ich mag keinen Unfrieden. Das setzt mir emotional sehr zu, umso mehr, je näher mir der andere steht. Also möchte ich wieder Frieden haben. Das ist aber gar nicht immer so einfach zu erreichen.
Manchmal gelingt es mir, den berühmten ersten Schritt zu tun, manchmal tut es aber auch der andere. Es ist letztlich nicht wichtig, wer den ersten Schritt tut. Wichtig ist, WIE er es tut. Wenn ich mit dem anderen Frieden machen will, ist es wichtig, dass ich in mir Frieden gefunden habe. Es darf noch das Gefühl des Verletzseins da sein. Das vergeht ja nicht immer so schnell. Aber zum Frieden gehört, dass ich dem anderen jetzt nicht wieder eins auswischen will, dass ich nicht wieder ein hartes Wort sage. Ich habe ja viele Waffen in Worten und Gesten, mit denen ich an diesem Punkt den Frieden verhindern kann. Ich muss bereit sein, zu vergeben, was war. Da Vergeben ein längerer Prozess sein kann, der nicht mit einem Wort oder einer Geste erledigt sein muss, reicht die Bereitschaft zu vergeben. Wenn ich grundsätzlich bereit bin, kann ich anfangen zu vergeben. Und vergeben ist nicht gleichbedeutend mit vergessen. Was war, wird durch Vergebung nicht ungeschehen gemacht und auch nicht klein geredet. Aber der Vorfall bekommt eine andere Bedeutung und hat ab da nicht mehr die Kraft, mich weiter zu zerstören.

Wenn ich derjenige bin, der den ersten Schritt tut, möchte ich auf keinen Fall wieder „Schläge“ bekommen, weder verbal noch nonverbal. Es ist ein Schritt, der mich Mut kostet, bei dem ich mich nochmal besonders verletzlich fühle. Wenn ich mir das recht überlege, spüre ich, wie wichtig es mir da ist, dass der andere mir dann auch friedlich begegnet.
Das macht es mir leichter, innerlich auch meine Waffen fallen zu lassen, das heißt alles zu lassen, was dann doch wieder zur Fortsetzung der Auseinandersetzung führt, wo ich dem anderen doch nochmal eine „rein würge“. Keine bissigen Bemerkungen jetzt, keine bösen Blicke. Das braucht Mut und Vertrauen. Aber es lohnt sich, denn nur, wenn ich im Frieden bin, kann ich meinen Alltag wirklich leisten, kann ich den Anforderungen und mir selbst gerecht werden, weil keine Energie in einen destruktiven Prozess geht.

Autor: Ulrike Dauenhauer – http://www.doppelpunkt-praxis.de

Traum oder Leben

Vielleicht ist das, was wir Leben nennen, ein Traum und das, was wir Traum nennen, das Leben. www.doppelpunkt-praxis.de

Manchmal frage mein Gegenüber ob es gerade wach ist oder träumt. Meist werde ich dann sehr erstaunt angeschaut, als würde ich diese Frage gar nicht ernst meinen. Diese Frage ist aber durchaus ernst gemeint. Woher bin ich mir sicher, dass ich wach bin? Ich erlebe im Traum sehr realistische Situationen (nicht nur, aber auch). Es können Situationen aus meinem Arbeitsalltag sein oder aus der Freizeit, aus der jüngeren oder älteren Vergangenheit oder seltsame Zusammenstellungen aus allem. Oft gibt es Anteile, die sehr realistisch sind. Vor allem im Traum weiß nicht – in aller Regel – nicht, dass ich träume. Ich erlebe etwas, oft sehr intensiv. Die Schlafforschung hat auch nachgewiesen, dass wir da allerlei Reaktionen – nicht nur Bewegungen, sondern auch im Herz-Kreislauf-System oder in den Hormonen – zeigen, die denen im Wachzustand entsprechen. Offenbar weiß also das träumende Hirn nicht, dass es träumt. Der ganze Organismus reagiert so, wie im Wachzustand. Ich finde das sehr spannend. Es eröffnet für mich Möglichkeiten.

Wie ist es dann anders herum? Woher weiß ich im Wachzustand, dass ich nicht träume? Diese Person gerade, die mir gegenüber sitzt, könnte ich auch im Traum treffen, auch an diesem Ort. Eine bestimmte Situation ist es meist nicht, an der ich wirklich sicher festmachen kann, dass ich im Wachmodus bin. Aber es können Sichtweisen sein. Bei mir zum Beispiel ist es so, dass  ich im Traum mich bisweilen von hinten sehe, so als wäre ich eine Kamera, die die Szene von hinten oben filmt. Diese Sicht habe ich im Wachmodus nie auf mich. Im Wachzustand hingegen sehe ich immer nur einen Teil von mir,  etwa ab Brust abwärts. Ich sehe – außer vor dem Spiegel – mein Gesicht nicht und auch nicht Teile davon wie das Kinn.

Vielleicht sind es noch ganz andere Faktoren, an denen jeder einzelne für sich definitiv fest machen kann, in welchem der beiden Modi er/sie sich gerade befindet. Dazu kann es helfen, wenn ich mich verschiedentlich genau das frage: Wache ich gerade oder träume ich? Und woher bin ich mir der Antwort, die ich mir selber gebe, sicher?

Wenn ich mir wiederholt diese Frage stelle, teile ich meinem Unterbewusstsein mit, dass es für mich interessant und wichtig ist, zu wissen, wo ich gerade bin. Es lernt, denn das tut es am liebsten. Die Frage, in welchem Zustand ich bin, wird zu einer „Kontrollfrage“, die es sich immer wieder stellt und auf die es Antworten findet. Damit erhöhe ich die Wahrscheinlichkeit sehr, dass mir diese Frage im Traum begegnet und ich sie auch dort klar beantworten kann. Wenn ich dann aber im Traum weiß, dass ich träume, eröffnen sich völlig neue Möglichkeiten, neue Welten. Hat das Ihr Interesse geweckt? Wollen Sie dazu mehr erfahren? Wir helfen Ihnen gern weiter.

Autor: Ulrike Dauenhauer – http://www.doppelpunkt-praxis.de

Ein bisschen verrückt sein?

Wissen Sie, was Sie da tun? Nein, ich überrasche mich gern selbst. www.doppelpunkt-praxis.de

Meistens bin ich ja ein „ganz normaler“ Mensch. Meistens tue ich gewöhnliche Dinge und verhalte mich so, wie man es von mir erwartet. Meistens finde ich das auch gut und fühle mich wohl dabei. Den Erwartungen der anderen zu entsprechen, gibt mir Sicherheit. Wenn ich tue, was von mir erwartet wird, bekomme ich auch Reaktionen, die ich selbst erwarte oder gar erhoffe. Es dient also beiden Seiten, wenn ich mir erwartungsgemäß verhalte. Im Großen und Ganzen ist das also gut so. Alle wissen woran sie sind.

Aber manchmal möchte ich mich nicht so benehmen, wie man es von mir erwartet. Kinder haben die Freiheit, sich ungewöhnlich zu verhalten. Je kleiner sie sind, desto größer scheint die Freiheit da zu sein, die wir ihnen lassen. Nahezu täglich werden auf Facebook Videos gepostet, die Kinder dabei zeigen, wie sie sich – in den Augen von uns Erwachsenen – ungewöhnlich verhalten. Sie probieren etwas aus oder nutzen etwas anders oder amüsieren sich köstlich über etwas, was ihnen neu – uns altvertraut – ist. Und diese Videos werden gern angeschaut und vielfach geliket. Ob das etwas damit zu tun hat, das wir selbst auch gern wieder diese Freiheit hätten?

Ich jedenfalls möchte mir gelegentlich diese Freiheit nehmen, möchte mich wieder selbst überraschen, möchte wieder Dinge ausprobieren und mich vom Ausgang erheitern lassen. Es geht mir nicht um Leichtfertigkeit und unbedachtes Handeln. Aber um neue Erfahrungen, um innere Freiheit, wieder einmal anders zu sein, als erwartet wird. Erwartet von anderen und von mir selbst.
Ich darf mir die Freiheit nehmen, anders zu sein, mich auszuprobieren und zu überraschen. Und ich werde es tun. Wer noch?

Zeit mit Freunden

Ich liebe es, Zeit mit freunden zu verbringen, die mich vergessen lassen, auf mein Handy zu schauen. www.doppelpunkt-praxis.de

Zeit mit Freunden

Ich gebe zu, dass ich froh bin, ein Smartphone zu haben. Es ist oft nützlich und angenehm. Aber es ist auch verführerisch. Ich lasse mich in seinen Bann ziehen, nutze es zu oft für zu unwichtige Dinge. Es scheint fast so, als würde mir das Smartphone diktieren, was in meinem Leben so wichtig ist, dass ich damit Zeit verbringe. Zeit ist in meinen Augen ein sehr kostbares Gut. Das wird immer deutlicher, je älter ich werde (und die verbleibende Lebenszeit somit immer knapper). Wäre es da nicht angebracht, diese Zeit gut zu nutzen? Und dennoch gelingt es mir oft genug nicht.

Leichter ist es, wenn ich nicht allein bin. Wenn ich umgeben bin von Menschen, die mich das Handy vergessen lassen. Ich kann mich nicht wirklich GANZ auf mein Gegenüber konzentrieren, wenn ich dabei immer wieder auf das Handy schaue. Aber für diesen Menschen, der mir seine Zeit schenkt, sie mit mir teilt, will ich GANZ da sein, will zuhören und verstehen und Nähe erleben. Ich will den Wert dieser Zeit schätzen. Und ich glaube, das gelingt besser, wenn ich GANZ im Moment bin, eben nur EINES tue.

Leichter ist es für mich auch, wenn ich in der Natur bin und einfach nur schaue. Dann genieße ich diese Bilder und Gerüche und kann sie auf meiner inneren Festplatte im Kopf ganz intensiv speichern. Dieses intensive Speichern gelingt nicht besser, wenn ich gleichzeitig versuche, etwas mit dem Handy (z.B: Foto) festzuhalten. Das kann schön sein, ja sicher. Aber die Erlebnisqualität des Moments wird dadurch nicht für mich verbessert. Eher stört es meinen inneren Erlebens- und Genußfluss, wenn ich gleichzeitig ein Foto mit dem Handy mache. Für diese Momente kann ich mir überlegen, was ich will und mich dann bewusst entscheiden, ob ich NUR genieße oder wirklich auch ein Bild machen will. Ich möchte diesen Automatismus ausschalten und entscheiden, was ich gerade tue. Und das will ich dann GANZ tun.

Wie schön ist es, nur das EINE zu tun. Nur mit einem Freund reden. Nur Natur genießen. Nur laufen. Nur ein Buch lesen. Achtsamer sein.
Ich will wieder mehr nur eines zur Zeit tun. Danke an alle, die mir dabei helfen.

Autor: Ulrike Dauenhauer , http://www.doppelpunkt-praxis.de

Sichtweisen

Es muss nicht jeder Moment der Schönste sein. Du kannst den Moment aber so leben als wäre er der Schönste.

Menschen, die ihr Leben so wahrnehmen, finde ich weise.
Das sind dann die Sicht-Weisen.

Es geht mir nicht darum, einem Menschen, der Schweres durchmacht, zu sagen, er solle doch bitte das Schöne auch sehen. Vielmehr denke ich an all die alltäglichen Momente, deren schönen Seiten und faszinierenden Aspekte allzu oft untergehen, weil wir schon wieder dazu neigen, das zu sehen, was uns noch fehlen könnte zu unserem Glück. Daher soll dieser Spruch dazu ermutigen, im Alltag die kleinen Wunder wieder zu sehen und sich aktiv dafür einzusetzen, dass der eigene Tag gut wird und ich am Abend mit dem Gefühl des Dankes für die schönen Momente einschlafen kann.

Autor: Ulrike Dauenhauer, http://www.doppelpunkt-praxis.de

Vertrauen – Misstrauen

Vertrauen - Misstrauen

Beziehungen leben von Vertrauen, das man zu einander hat. Vertrauensbruch ist auch vielfach die tiefste Verletzung, die eine Beziehung erfahren kann. Bisweilen heilen solche Brüche nicht mehr, das ist tragisch.
Aber wie kommt es eigentlich dazu, dass mir jemand vertraut? Sicher sind es einerseits verbale Botschaften, die ich aussende, dann aber auch meine Körpersprache und meine Auftreten. Erfahrungen mit dem anderen sind nicht immer als Voraussetzung möglich. Manchmal lernen wir jemanden gerade erst kennen und die Situation erfordert es, dass ich ihm oder ihr schnell vertraue. Da kann ich auf keine gemeinsame Geschichte aufbauen. Vertrauen entsteht, in dem einer von beiden einen Schritt geht. Dieser Schritt kann nicht gemeinsam gegangen werden, sondern einer muss diesen ersten Schritt tun, der in diesem Fall heißt: Vertrauen schenken! Wenn ich möchte, dass man mir vertraut, werde ich es deutlich leichter haben, wenn ich mich entschließe, den ersten Schritt zu tun und Vertrauen auf den anderen zu wagen. Das ist ein wirkliches Wagnis. Immer. Denn ich kenne niemanden bis ins Letzte. Und wir alle kennen aus den Medien – oder womöglich sogar aus eigener Erfahrung – Geschichten, wo der Mensch, der einem am nächsten Stand, das in ihn gesetzte Vertrauen gebrochen hat. Also bleibt es ein Wagnis.
Nach solchen schmerzlichen Erfahrungen fällt es schwer, wieder Vertrauen zu geben. Aber es bleibt mir nichts anderes übrig, wenn ich wieder Vertrauen erleben will, beim anderen und bei mir selbst. Ich kann nicht in einer neutralen Haltung verharren und hoffen, dass Vertrauen wieder wächst. Wenn mein Vertrauen von jemand anderem missbraucht wurde, misstraue ich in aller Regel auch mir selbst. Permanent plagen dann die Fragen, ob ich es nicht hätte ahnen können oder was mir hätte auffallen können. Ich muss also lernen, mir und meinen Wahrnehmungen wieder zu vertrauen. Das wird nicht frei von Risiken bleiben, aber es ist der einzige Weg, letztlich wieder Vertrauen zu finden. Erst einmal in mich selbst, dann in den anderen.

Autor: Ulrike Dauenhauer – http://www.doppelpunkt-praxis.de

Schauen

50 shades of green

Die letzten drei Tage hatte mich das Grün wieder sehr fasziniert. Als erstes erlebe ich immer den Erholungseffekt, den es hat, wenn ich mich im Grünen aufhalte. Ich spüre, wie Ruhe einkehrt und das bewusste Schauen einsetzt. Und je mehr ich schaue, desto mehr Grünschattierungen entdecke ich. Es setzt eine Faszination ein, für die ich kaum einen Ausdruck finde, die ich aber schon oft und an verschiedenen Orten erlebt habe.
All das Grün gehört irgendwie zusammen, und doch ist jedes für sich. Jeder Baum, jeder Busch, jede Pflanze hat ihren eigenen Platz und ihren eigenen Wert. Und jede hat ihre Aufgabe im großen Ganzen. Und niemand scheint diesen Platz in Frage zu stellen. Wir kennen bisher keine Kommunikation zwischen Pflanzen, die vermitteln würde, dass sie sich gegenseitig kritisieren oder in Frage stellen. Aus meiner Sicht, so denke ich, ist jede Pflanze mit ihrer Blattform, ihrem Grün, ihrem Standort zufrieden (oder sie wächst dort eben nicht mehr, geht unter, wie alles irgendwann). Vor allem habe ich nie erlebt, dass Menschen das Grün oder die Form einer Pflanze in Frage stellen. Solchen Umgang wünsche ich mir und anderen. Friedlich, akzeptierend.
Ja, es mag so Momente geben, wo der große Baum in Nachbars Garten einen ärgert, weil er an den ersten Sonnentagen zu viel Schatten macht oder im Herbst so viel Laub abwirft. Aber in der freien Natur gibt es diese Kritik nicht. Im Gegenteil, da faszinieren sogar die bereits abgestorbenen Bäume oder Baumstümpfe, auf denen bereits Neues wächst. Ja gerade diese Kombination finde ich besonders interessant. Dieses Zusammenkommen von Werden und Vergehen an einem Platz. Im Grunde leben wir ständig darin, nur nehmen wir es selten so wahr. Und in der Natur erlebe ich es als schön, bereichernd, faszinierend und inspirierend. Werden und Vergehen prägt mein Leben. Jeder Atemzug ist ein Stück davon. Und die Atemzüge nehme ich auch einfach so, kritisiere sie nicht, sondern nehme sie einfach an.
Das Unperfekte der Natur erlebe ich als Schön und Besonders. Im eigenen Leben bin ich da kritischer. Warum? Kann ich nicht von der Natur lernen, auch die unperfekten Dinge mit liebevollem Auge zu sehen? Kann es mir nicht gelingen, in den bereits vergehenden Dingen meines Lebens – und im Leben der anderen – neue Chancen und bereits wieder Wachsendes zu entdecken? Ist das nicht einfach nur eine Frage der Art des Schauens? „Man sieht nur mit dem Herzen gut“, sagte Antoine de Saint-Exupéry. Das muss er wohl gemeint haben.

Autor: Ulrike Dauenhauer – http://www.doppelpunkt-praxis.de