„Ein alter Bekannter“

Zimbardo Matthias Dauenhauer 2
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Am 04. November 2015 durften wir auf einer Tagung in Heidelberg einen alten Bekannten treffen: Prof. Philip Zimbardo, einen der einflussreichsten lebenden Psychologen.

Er ist ein alter Bekannter, aber anders als es die Fotos suggerieren. Wir haben Phil vorher noch nie gesehen (außer auf youtube). Aber wir haben Fachliteratur dieses weltberühmten Psychologen gelesen und natürlich in Vorlesungen von seinen Forschungen gehört. Er ist inzwischen 82 Jahre alt und weltweit bekannt durch sein Gefängnis-Experiment, also ein „alter Bekannter“.

In Zeiten der Studentenunruhen, der Hippie-Bewegung und Flower-Power-Zeit, der Anti-Vietnam-Demonstrationen hat der 1933 in New York geborene italienisch stämmige Professor im Jahre 1971 an der Stanford Universität in Kalifornien eine sozialpsychologische Untersuchung durchgeführt, die unter dem Namen Stanford-Prison-Experiment (SPE) Eingang in die Psychologiegeschichte nehmen sollte. Bekannt wurde auch eine Verfilmung des Stoffes mit Moritz Bleibtreu in der Hauptrolle unter dem Titel: „Das Experiment“, angelehnt an die tatsächlichen Vorgänge der frühen Siebziger.

Zimbardo ging der Frage nach, ob das „Böse“ eher auf Faktoren zurückzuführen ist, die innerhalb einer Person liegen, also Persönlichkeitseigenschaften, früher auch Charakter genannt. Oder ob das „Böse“ eher durch äußere Umstände zu erklären ist. Handelt es sich um vereinzelte „faule Äpfel“ in einem Fass, oder um Äpfel in einem „faulen Fass“?

Mit Kriegsverbrechen in den verschiedensten Teilen der Welt hat sich Zimbardo auseinandergesetzt. Er untersuchte Vietnam-Veteranen und war auch Gutachter in den Prozessen, in welchen US-Soldaten vorgeworfen wurde, im Gefängnis von Abu-Ghraib Gefangene misshandelt und gefoltert zu haben.

Seine ganze Forschung zu diesem Thema ist in einem Bestseller zusammengefasst: „Der Luzifer-Effekt. Die Macht der Umstände und die Psychologie des Bösen.“ In diesem vielbeachteten Buch – es war eine ganze Weile auf der Bestsellerliste der New York Times, kommt Zimbardo zu dem Schluss, dass entgegen weit verbreiteten Erklärungsversuchen es vielmehr die situativen Umstände sind, die aus „normalen“ Menschen Bestien machen und viel weniger die charakterlichen Eigenschaften des Menschen.

Vaclav Havel schreibt über das rund 500 Seiten umfassende Werk: Er „ … verdient einen tief empfunden Dank für die Offenlegung und Beleuchtung der dunklen, verborgenen Winkel der menschlichen Seele. Sein Buch ist eine nicht immer ermutigende Lektüre. Doch der Autor zeigt sehr deutlich, dass es zu den entscheidenden Herausforderungen der menschlichen Existenz gehört, sich selbst kennenzulernen.“
Im Grunde bedeutet dies: In jedem von uns steckt ein Teufel. Oder, um persönlicher zu werden: auch in mir steckt Dämonisches. Ob es zum Vorschein kommt, hängt nicht allein von mir ab, sondern sehr wesentlich von der Situation, in der ich mich befinde. Darum lautet der Untertitel seines Buches auch: „Understanding how good people turn to evil“.

Schon als Pastor habe ich in einer Predigt vor vielen Jahren mal behauptet, dass der Teufel, der uns verführt, nur eine billige Ausrede sein könnte. Ich selbst trage so viel Diabolisches in mir, dass ich den Teufel als Begründung für Fehlverhalten gar nicht brauche. Das Gute und das Böse schlummern in mir. Hierzu passt auch perfekt ein Litho von M. C. Escher aus dem Jahre 1960, welches je nach Sichtweise viele Engel oder viele Teufel zeigt: „Circle Limit IV“ Engel und Teufel

Der Teufel war nach biblischer Darstellung einmal ein besonderer Engel: der Luzifer, eine Lichtgestalt. Wie eine Lichtgestalt aus großen Höhen fallen kann, erleben wir dieser Tage im deutschen Fußball …

Ich will die Hoffnung für mich nicht aufgeben, dass ich trotz äußerer Umstände und ungünstiger Situationen öfter den Engel als den Teufel zum Fliegen bringe und sichtbar werden lasse. Und ich will auch nicht aufhören daran zu glauben, dass andere Menschen, auch wenn sie Böses getan haben, i.d.R. Opfer der Umstände wurden und nicht durch und durch selbst Böse sind. Damit meine ich nicht, dass sie von der Verantwortung für ihr Handeln frei gesprochen sind. Aber ich werde mit Pauschal- und Vorverurteilungen vorsichtiger sein, denn ich weiß nicht, ob und wann ich selbst zum Dämon werde.

© Matthias Dauenhauer

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