Wenn sich Interessen widersprechen

tauben-fuettern-verboten

Es gibt nicht wenige Menschen, die ein Herz für Tiere besitzen. Sie beherbergen Katzen, importieren Straßenhunde aus Spanien, füttern Schwäne am See, hängen ein Vogelhäuschen im Garten auf oder aber sie füttern Tauben in der Stadt.
Dass dies nicht jedem gefällt, ist nachvollziehbar: Tauben in der Stadt machen viel Dreck, auf Dächern, Fenstersimsen und Denkmälern und manchmal treffen sie auch die Bluse oder die Glatze von Passanten, Anwohner fühlen sich auch vom Lärm und vom Geruch belästigt. Außerdem gelten die Tauben als die Ratten der Lüfte und als Verbreiter von Krankheiten und Parasiten.

Die einen wollen ihr berechtigtes Interesse nach Sauberkeit und Gesundheit durchsetzen, die anderen ihr Bedürfnis nach Tierschutz. Inzwischen haben die meisten Städte das Füttern von Tauben verboten. In Stuttgart können bei Zuwiderhandlungen empfindliche Strafen verhängt werden (siehe Foto).
Es gibt viele Bereiche, in denen sich die Bedürfnisse und Interessen von Menschen nicht decken, oder sogar gegensätzlich sind:

Beim Wetter wünscht sich der eine Regen für seinen Garten, der andere Sonnenschein für seine Freizeitaktivitäten.
Der Vermieter freut sich über steigende Mieten, weil er damit seine Rente aufbessert, der Mieter hofft auf jahrelange Mietpreisstabilität, um seine Kosten überschaubar zu halten.
Der eine freut sich über Zuwanderung und MultiKulti, der andere hat Angst vor Überfremdung.
Der Ehemann will den Urlaub am Meer verbringen, seine Frau will in den Bergen wandern. Die Beispiele kann man endlos fortsetzen.

Wie soll man miteinander umgehen, wenn sich die Wünsche nicht auf einen Nenner bringen lassen? Welche Kriterien kann man anwenden, wenn die Bedürfnisse diametral entgegen gesetzt sind?
Bei der Lösung ist Toleranz und Kreativität gefragt. Bei der Frage nach dem Urlaubsort könnte man von Jahr zu Jahr abwechseln (man könnte sogar getrennte Urlaube in Erwägung ziehen). Diese Lösung wäre für das Taubenfüttern nicht praktikabel: an geraden Datumstagen darf gefüttert werden, an ungeraden nicht. Eher geht es um Fragen nach den Konsequenzen. Sind Tauben vom Aussterben bedroht? Wie hoch ist das Krankheitsrisiko für die Tauben, andere Tiere oder gar Menschen. Wie ist es um das natürliche Gleichgewicht bestellt? usw.
Im Dialog zwischen Menschen mit unterschiedlichen Bedürfnissen ist es wichtig, dem anderen erstmal aufmerksam zuzuhören. Was ist sein Anliegen? Aus welcher Motivation heraus trifft er seine Entscheidungen. Wovor hat er Angst? Was ist sein Ziel?

Aus dem Konfliktmanagement (nach dem Harvard-Konzept) kennt man folgendes Beispiel: Zwei Schwestern streiten sich um die letzte Orange in der Küche. Jeder will sie für sich haben. Eine mögliche Lösung könnte im Halbieren der Orange bestehen, aber in unserem Fall wären beide Schwester nicht glücklich. Die Mutter fragt nach, wofür sie die Orange verwenden möchten und es stellt sich heraus, dass die eine Tochter frisch gepressten Orangensaft trinken möchte, während die andere nur die Schale zur Verwendung in einem Kuchen zum Backen benötigt. Jetzt ist die Lösung einfach und führt zu optimaler Zufriedenheit bei den Beteiligten.
Nach der bewährten Harvard-Methode zum Umgang mit Konflikten trennt man zunächst zwischen der Person und der Sache. Dann konzentriert man sich auf die Interessen beider Parteien, sammelt mögliche Lösungen, die dem gegenseitigen Nutzen dienen. Abschließend sucht man gemeinsam nach möglichst „objektiven“ Kriterien, um die Lösung zu beurteilen und zu bewerten. Übrig bleibt ein Lösungsvorschlag, der für beide eine maximale Befriedigung der Bedürfnisse sichert.

Ich wünsche mir in unserer Gesellschaft mehr Sachlichkeit, Toleranz und Kreativität im Umgang mit gegensätzlichen Zielen.

© Matthias Dauenhauer – Praxis Doppelpunkt