
Am 31. Oktober war Reformationstag. In wenigen Bundesländern ist er gesetzlicher Feiertag. Wenn sich 2017 der Thesenanschlag zum 500sten Mal jährt, wird ausnahmsweise bundesweit Feiertag sein.
Luther hat mutig und letztlich unter Gefahr für Leib und Leben die damaligen kirchlichen Missstände angeprangert. Er wagte 1521 den Gang zum Reichstag nach Worms, um sich vor Kaiser und den päpstlichen Gesandten zu rechtfertigen. Ja, es wurde ihm freies Geleit zugestanden. Allerdings kannte Luther auch das Schicksal eines anderen Reformators: Jan Hus wurde ca 100 Jahre zuvor auch freies Geleit zum Konzil nach Konstanz versprochen. Er starb dort 1415 auf dem Scheiterhaufen …
Spannend ist für mich, wie sich Martin Luther verteidigt hatte. In seiner Rede beruft er sich nicht allein auf die Bibel, sondern auch auf die Vernunft:
„Wenn ich nicht durch Zeugnisse der Schrift und klare Vernunftgründe überzeugt werde; denn weder dem Papst noch den Konzilien allein glaube ich, da es feststeht, daß sie öfter geirrt und sich selbst widersprochen haben, so bin ich durch die Stellen der heiligen Schrift, die ich angeführt habe, überwunden in meinem Gewissen und gefangen in dem Worte Gottes. Daher kann und will ich nichts widerrufen, weil wider das Gewissen etwas zu tun weder sicher noch heilsam ist. Gott helfe mir, Amen!“
Der Gelehrte Luther beruft sich auf die Gewissensfreiheit, die es ihm erlaubt, Autoritäten anzuzweifeln. Weder die Tradition an sich, weder die Zusammenkunft vieler Kardinäle und Theologen bei einem Konzil, noch das höchste Kirchenoberhaupt selbst, der Papst, ist in der Lage, den Schriftbeweis aus der Bibel aufzuwiegen. Aber nicht nur Bibeltexte sind ihm wichtig, sondern auch Gründe der Vernunft.
Kant sollte sehr viel später (1784) einmal formulieren „Habe Mut, dich deines Verstandes zu bedienen!“ Er wurde zum Leitspruch der Aufklärung. Aber weniger bekannt ist eine Aussage des Dichters Horaz, der ca. 20 v.Chr. schon aufforderte: „Sapere aude!“ („Entschließe dich zur Einsicht!“ oder „Wage es, weise zu sein!“)
Für viele scheint der Verstand ein unüberbrückbarer Gegensatz zum christlichen Glauben zu sein. Durch die Ergebnisse der wissenschaftlichen Forschung sei der Glaube gefährdet. Und dieser Glaube wird höher geachtet als die Vernunft. Wird der Glaube so aber nicht zu einem blinden Glauben? Und aus blindem Glauben schließlich blinder Gehorsam? Manchen Frommen ist der Mut abhandengekommen, selbst vernünftig nachzudenken.
Wissenschaft und Glaube sind eine sinnvolle Ergänzung. Und niemand hat es besser formuliert, als der Nobelpreisträger für Physik, Steven Weinberg: „Das Verdienst der Naturwissenschaften besteht nicht darin, dass sie es den Menschen unmöglich macht, gläubig zu sein, sondern, dass sie es ihnen möglich macht, ungläubig zu sein!“
Dank der Vernunft und des Verstandes, dank der Naturwissenschaften, die sich dieser bedienen, ist man nicht mehr gezwungen, alles zu glauben. Zweifeln ist erlaubt. Dass bereits der Reformator Luther lange vor dem Zeitalter der Aufklärung darauf hingewiesen hatte, ist mir erst dieses Jahr bewusst geworden.
Und ein letzter Gedanke: Wie kann ich den Reformationstag ganz persönlich nehmen? Ich könnte ihn jährlich zum Anlass nehmen, darüber nachzudenken, was ich in meinem persönlichen Leben verändern will. Was soll eine „neue Form“ erhalten? Was soll wieder in seinen ursprünglichen Sinn „zurück geformt“ werden? Vielleicht steckt in jedem von uns ein kleiner Martin Luther 😉
© Matthias Dauenhauer