Brandnacht in Darmstadt

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9/11 Elfter September 1944

Kürzlich war ich zum Klassentreffen in Darmstadt: 40 Jahre Abi. Daran erkennt man, dass man älter wird. Oder auch daran, dass man sich seine ehemaligen Klassenkameraden genauer anschaut. Bei sich selbst merkt man den Alterungsprozess nicht so sehr.

Einer unserer ehemaligen Lehrer hatte für uns eine bilinguale Führung durch Darmstadt vorbereitet: deutsch und hessisch. Viele unserer Klassenkameraden stammten nicht aus Darmstadt, sondern kamen aus allen Teilen der damaligen Bundesrepublik. Der Besuch der Internatsschule am Rande eines Vorortes trug nicht dazu bei, die ehemalige Residenzstadt näher kennen zu lernen. So war diese geführte Tour Jahrzehnte später informativ, humorvoll und nachdenklich zugleich.

Die meisten von uns wussten z.B. nicht, dass Darmstadt ein 9/11 erlebt hat. Es war die Brandnacht vom 11. auf den 12. September 1944. Ein Geschwader der Britischen Air Force legte 5 Minuten vor Mitternacht mit 234 Bombern die Stadt in Schutt und Asche. 99% der Innenstadt wurde dabei zerstört – sprichwörtlich ruiniert.
Nicht nur nach heutigen Maßstäben war dies ein Akt der Grausamkeit an der Zivilbevölkerung und somit ein Kriegsverbrechen. Etwa 11.500 Menschen sollen allein in dieser Nacht den Tod gefunden haben. Jedes fünfte Opfer war ein Kind!

Ähnlich wie bei der berühmten Gedächtniskirche in Berlin stehen die Reste einer Kapelle als Mahnmal an das damalige Geschehen. Jährlich gedenkt man in einer kleinen Prozession dieses schrecklichen Ereignisses.
Eine Bronzestatue zeigt einen gebeugten, vor Schmerz verzerrten Körper, der in die Knie geht. Davor ist im Boden ein Spruch eingelassen, den Karl Krolow, ein deutscher Schriftsteller, der 1999 in Darmstadt verstarb, formuliert hat:

In Deutschlands dunkelster Zeit
gekrümmt von der Macht und im Leid
Ohne Hoffnung doch hoffnungsbereit
Für den Frieden in unserer Zeit.

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Dass Gewalt zu Gewalt führt, zeigt die Geschichte mannigfach. Aber die Geschichte lehrt uns auch, dass der Mensch aus der Geschichte nicht lernt. Auch heute noch lassen die Mächte in Ost und West ihre Muskeln spielen, halten Manöver ab, im Glauben, damit den vermeintlichen Gegner einschüchtern zu können. In Nord und Süd gibt es Machthaber, die bereit sind, ihre Macht auszuspielen: Intoleranz, Unterdrückung, Folter, Todesstrafe. Aber davor steht die Gewaltbereitschaft, die Bereitschaft, mit Gewalt politische und persönliche Interessen durchzusetzen, notfalls auch prophylaktisch.

Der aufstrebende Nationalismus in Europa und anderswo sind Vorboten einer Zukunft, die wieder wie damals schon Wind sät. Ich hoffe, die Ernte nicht mehr miterleben zu müssen.

© Matthias Dauenhauer – Praxis Doppelpunkt

Aufgeben oder genug haben?

Es ist wichtig, den Unterschied zu kennen zwischen "ich gebe auf" und "ich habe genug". - www.doppelpunkt-praxis.de

Manchmal sehen Dinge sehr ähnlich aus, sind aber doch verschieden. So kann es auch mit Handlungen sein. Es kann von außen den Anschein haben, als wären sie gleich. Dennoch können sich diese zwei Handlungen im Innern des Akteurs deutlich voneinander unterscheiden.

In unserer Leistungsgesellschaft gibt es Menschen, die finden es ganz und gar nicht gut, wenn jemand aufgibt. Und es gibt Menschen, die gern sich ein Urteil darüber bilden, was andere tun und warum sie das wohl getan haben etc.
Nun ist es aber doch möglich, dass zum Beispiel jemand mit Leistungssport aufhört, weil sie/er es lange genug gemacht hat und nicht mehr so toll findet. Die Intention seiner Handlung kann von außen niemand sehen. Als Außenstehender kann ich nur wahrnehmen, dass jemand etwas beendet. Ohne weitere Information weiß ich nicht, ob diese Person – vielleicht frustriert – aufgibt oder einfach aufhört.

Aus Angst vor den Gedanken und vor allem den Urteilen anderer – schlimm, dass Menschen davor Angst haben müssen – trauen sich manche Menschen nicht, mit etwas aufzuhören. Dabei wäre es gar kein Aufgeben, sondern ein Aufhören, weil es eben einfach genug ist.

Auch hier zeigt sich wieder, wie wichtig es ist, über andere nicht zu urteilen. Und in meinen Augen gleich wichtig ist es, für sich selbst ehrlich zu sein und anzuerkennen, dass ich aufhören darf, wenn es genug ist

Autor: Ulrike Dauenhauer – Praxis Doppelpunkt

Freundschaft und Unzertrennlichkeit

Wahre Freundschaft bedeutet nicht Unzertrennlichkeit, sondern getrennt sein zu können, ohne dass sich was ändert. - www.doppelpunkt-praxis.de

Freundschaft ist eigentlich ein Wort, das jeder selbstverständlich benutzt. Ich schaue auch bei solchen Worten gern mal nach, was sich dazu findet an Definitionen oder sonstigen interessanten Hintergründen. In Wikipedia fand ich diesen Hinweis: Meyers Großes Konversations-Lexikon von 1907 bezeichnet Freundschaft als „das auf gegenseitiger Wertschätzung beruhende und von gegenseitigem Vertrauen getragene freigewählte gesellige Verhältnis zwischen Gleichstehenden.“

Gut, das war also 1907. Aber hat sich da Wesentliches geändert? Für mich ist Freundschaft nach wie vor wesentlich mit dem Begriff des Vertrauens verknüpft. Vertrauen meint dabei den Glauben an die Redlichkeit einer Person.

Dennoch erlebe ich bei anderen immer wieder große Probleme zum Beispiel im Umgang mit Kurznachrichtendiensten. Ich möchte kurz schildern, was ich genau meine: Zwei Menschen, die sich lieben, sind nicht beieinander. Das kann tagsüber oder abends sein. Einer der beiden schreibt eine Nachricht auf Whatsapp. Dort gibt es die Möglichkeit zu sehen, ob der andere online ist. Danach wird dann auch geschaut. Der Schreiber schaut dann wiederholt nach, ob die Nachricht gelesen wurde und wann der Adressat zuletzt online war. Und dann geht es im Kopf los: Warum antwortet er/sie nicht? Der/Die ist doch die ganze Zeit online. Mit wem schreibt er/sie? Und daraus entstehen dann die wildesten Geschichten von Eifersucht. Warum ist das so? Seit diese Medien existieren, scheinen sie Menschen zu verändern.

Wie ging das eigentlich in Zeiten vor Whatsapp und ähnlichen Medien? Auch da hatten Menschen Beziehungen und Zeiten, in denen sie sich nicht sahen. Da war ich gefordert, meinem Partner zu vertrauen, dass er Dinge tut, die in unsere gemeinsame Übereinkunft passen, die seine und meine und unsere gemeinsamen Beziehungsgrenzen wahren. Und das hat auch meistens funktioniert. Ich glaube nicht, dass damals mehr fremdgegangen wurde als heute. Warum haben heute viele Menschen so ein starkes Bedürfnis danach, immer, jederzeit, sofort zu wissen, was der/die andere tut oder wo er/sie ist? Warum entsteht so schnell Angst, dass man selbst dem/der anderen nicht mehr so wichtig ist, wenn nicht sofort eine Reaktion auf eine entsprechende Meldung auf dem Handy erfolgt? Führt die Möglichkeit dieser Geräte und Apps zu Verpflichtungen? Dann wäre es mit der Freiheit vorbei. Das fände ich schade und auch gar nicht hilfreich für die einzelne Beziehung und für jeden einzelnen Menschen. Es muss doch möglich sein, den Abend getrennt zu verbringen und GLEICHZEITIG darauf zu vertrauen, dass er/sie auch nur Dinge tut, die für uns beide in Ordnung sind. Meines Erachtens braucht eine Beziehung so viel Vertrauen, wenn sie langfristig tragfähig sein soll. Vertrauen ist aber immer etwas, wo ich selbst beginnen muss. Ich kann es nicht einfordern, ich kann es nur geben.

Es kostet bisweilen etwas Mut, Vertrauen zu haben. Aber nur wer Vertrauen schenkt, kann auch Vertrauen erfahren. Und diese Erfahrung ist so schön, dass sie jeder machen sollte. Und wenn es sein muss, kann man solche Nachrichtendienste auch mal für geraume Zeit still legen, um zu lernen, dass es auch ohne ständige Kontrolle geht. Manchmal ist weniger einfach mehr.

Autor: Ulrike Dauenhauer – Praxis Doppelpunkt

Freiheit – Macht – Liebe

Wer frei ist, lässt andere frei sein. - www.praxis-doppelpunkt.de

Es erstaunt mich immer wieder, wie Menschen aus eigener innerer Enge heraus, anderen Menschen Grenzen setzen, wie Menschen, die sich nicht frei fühlen, bestimmte Dinge zu tun, dies anderen auch nicht zugestehen können.

Freiheit fordert immer auch Verantwortung. Und die kann groß sein. Manchem Menschen mag sie für sich zu groß erscheinen oder tatsächlich zu groß sein. Nicht jeder kann gleichviel Verantwortung tragen. Und nicht jeder mag viel Verantwortung übernehmen.

Worum geht es mir konkret: Da gibt es Menschen, die sich von Dingen bedroht fühlen. Das kann die Unbeschwertheit sein, mit der jemand anderes mit Menschen des anderen Geschlechts umgeht. Das kann eine fremde Kultur sein, in der sich jemand nicht auskennt. Fremdes macht uns ja leicht Angst. Die Angst kann mich hindern, mich mit dem Fremden – also nicht mit dem Menschen, sondern mit dem, was mir an ihm fremd ist – zu öffnen. Manche Menschen fürchten, dass sie über zuviel Nähe zu dieser Fremdheit ihr eigenes verlieren. Wenn jemand also Angst hat, sich selbst oder seine Identität zu verlieren, wenn er sich für etwas Neues öffnet, wird er sich selbst beschränken. Angst hat leider die Eigenschaft, größer zu werden, wenn man ihr aus dem Weg geht, die Begegnung meidet. Die Folge ist, dass die Angst sich auf immer mehr Dinge oder Menschen ausweitet. Und zur Beherrschung der eigenen Angst werden dann anderen Menschen Grenzen gesetzt.

Ich habe jetzt nicht DIE Lösung dafür. Aber mir geht immer ein Satz von Charlie Chaplin durch den Kopf: „Macht brauchst Du nur, wenn Du etwas Böses vorhast. Für alles andere reicht Liebe um es zu erledigen.“ Das könnte zumindest mal ein Ansatz sein, um weiter zu denken.

Autor: Ulrike Dauenhauer – Praxis Doppelpunkt

Zu viel oder zu wenig?

Wenn man zuviel nachdenkt, erschafft man Probleme, die es eigentlich nicht gibt. (www.doppelpunkt-praxis.de)

Gestern waren wir in Heidelberg auf einem Workshop mit Philip Zimbardo (http://www.zimbardo.com/) , der durch seine psychologischen Forschungen sehr berühmt geworden ist. Inzwischen ist er 82 Jahre alt, wirkt aber keineswegs so. Er berichtete über seine Forschungen zum Zeitparadox. Er machte anhand seiner weltweiten Forschungen deutlich, dass die persönliche Wahrnehmung der Zeit – also ob ich meine Vergangenheit positiv oder negativ in Erinnerung habe, ob ich die Gegenwart eher lustvoll oder fatalistisch wahrnehme und wie ich in die Zukunft schaue – wesentliche Auswirkungen auf sehr viele Bereiche unseres Lebens hat. Dazu werde ich nochmal gesondert schreiben.

Bestätigen kann ich aus vielen Gesprächen, dass es Menschen gibt, die sich viele Gedanken über allerlei Dinge machen, so viele Gedanken, dass sie am Ende noch mehr Probleme haben, darüber sehr unglücklich oder gar verzweifelt sind und sich kaum oder nicht mehr in der Lage fühlen, etwas zu entscheiden und dann auch zu tun. Das Nachdenken kann also tatsächlich dazu führen, dass Probleme erst entstehen.

In jungen Jahren sind wir alle sehr gegenwartsorientiert. Wir tun, wozu wir gerade Lust haben. Die meisten von uns sind dann so erzogen worden, dass es wichtig ist, in die Zukunft zu schauen und die Konsequenzen unseres Handelns gedanklich vorweg zu nehmen. Das ist ja auch nicht völlig falsch. Es bewährt sich nicht, vollkommen in dieser Gegenwartsorientierung zu bleiben und gar nicht darüber nachzudenken, das folgt. Aber über alles und jeden ständig nachzudenken, stellt das andere Extrem eines Kontinuums dar und ist ebenso wenig hilfreich.

Es geht um das gute Maß an Spontaneität und Planung, um glücklich und erfolgreich zu sein.
Gelegentlich also mal weniger nachdenken bzw. das Nachdenken über etwas begrenzen, kann sehr hilfreich sein.

Autor: Ulrike Dauenhauer – Praxis Doppelpunkt

Kann mir bitte jemand sagen, wo es hier zum Fluss geht ?

Einige Menschen schwimmen mit dem Strom, andere dagegen. Ich steh mitten im Wald und finde den Fluss nicht. - www.doppelpunkt-praxis.de

Wenn alles über einem herein bricht, verliert man schon mal die Übersicht. Das geht mir auch so. Eine Zeit lang ist klar, wo mein Weg lang geht, was zu tun ist, welche Ziele ich habe, welche Schritte ich unternehmen kann, um diese Ziele zu erreichen, und ich lebe ganz zufrieden. Dann kann es geschehen, dass Dinge passieren, die nicht geplant waren, die nie geplant sind (Leben ist das, was passiert, während wir ganz andere Pläne haben). Ein Unfall, eine Erkrankung bei mir selbst oder einem mir sehr nahe stehenden Menschen, plötzliche Änderungen der an mich gestellten Anforderungen und am besten alles gleichzeitig. Und dann ist nichts mehr klar. Einfache Schritte kann ich nicht mehr sehen oder ich sehe sie vielleicht, fühle mich aber völlig außer Stande, sie zu gehen. Kurzum : ich sehe den Fluss nicht.

Was also im ersten Moment irgendwie witzig klingt, kann auch einen tieferen Sinn oder ernsthaften Hintergrund haben. Es ist schon mal gut, wenn der Leser dieser Zeilen, der Betrachter des Bildes im ersten Moment gelacht oder gelächelt hat. Mich hat der Spruch beim ersten Lesen zum Lachen gebracht.

Aber dann blieb mir das Lachen im Halse stecken. Denn es fühlt sich furchtbar an, wenn man so gestrandet ist, wie dieses Boot, wenn man den Fluss nicht mehr findet. Und dieses Gefühl kann noch dadurch gesteigert werden, dass man den Eindruck hat, dass alle anderen sehr wohl im Fluss sind, in der einen oder anderen Richtung, aber drin. Ich fühle mich dann einsam, unverstanden, hilflos. In solchen Situationen ist unser Gehirn maximal von Stresshormonen überflutet. Das hindert das klare Denken, macht mir den Überblick unmöglich. Diese Hormone haben dann die Oberhand, und ich fühle, wie sie gewinnen und ich mich mehr und mehr vom Fluss entferne.

Hier kann helfen, was – meines Wissens erstmals – von Vera Birkenbihl (1946 – 2011) vorgestellt wurde:
Die Stresshormone verhindern, dass ich klar denken und somit die Situation angemessen bewältigen kann. Wenn ich nun die Mundwinkel weit nach oben ziehe, nimmt das Gehirn eine positive Stimmung wahr (auch wenn ich nicht in dieser Stimmung bin). Allein diese muskuläre Aktivität bewirkt eine Ausschüttung jener Hormone, die dem Stress entgegen wirken und damit wieder klares Denken erlauben. Sicher, man kommt sich doof vor, wenn man eine solche Grimasse zieht. Es sieht ja nicht wirklich aus wie lächeln oder lachen. Aber da man sich ja ohnehin schlecht fühlt, ist es eigentlich auch egal, für kurze Zeit so auszusehen. Man soll dieses massive Grinsen – so würde ich das nennen – eine Minute lang halten. Nach 15 Sekunden fängt es an, dass man eine Veränderung spürt. Nach einer Minute ist man deutlich klarer im Kopf, die Emotionalität ist ausgeglichener und die Möglichkeiten, die Situation neu zu bewerten, steigen immens. Und mit einem klaren Kopf kann ich dann auch den Fluss wieder finden.

Autor: Ulrike Dauenhauer – Praxis Doppelpunkt

Die tückische Angst vor Fehlern

Der größte Fehler, den du im Leben machen kannst, ist aus Angst, einen Fehler zu machen, nichts zu tun. - www.doppelpunkt-praxis.de

Wer kennt das nicht? Da ist eine Beziehung schwierig geworden, Missverständnisse sind an der Tagesordnung, man ist verunsichert. Und aus Angst, es wieder falsch zu machen, wieder etwas Falsches zu sagen, schweigt man lieber. Man glaubt, wenn man nichts sagt, kann man schon nichts Falsches sagen. Das klingt ja irgendwie plausibel. Ist es aber nicht.

Wenn ich nichts mehr sage, ist das auch eine Form von Aggression, behaupte ich. Es kommt zu einem Kommunikationsembargo. Wikipedia erklärt den Begriff Embargo so: „Ein Embargo (von spanisch embargo ‚Beschlagnahme‘, ‚Pfändung‘) ist in der internationalen Wirtschaft und Politik die Unterbindung des Exports und Imports von Waren oder Rohstoffen in ein bzw. aus einem bestimmten Land.“
Wir verhindern also in diesem Moment aktiv etwas, was in der Beziehung wichtig ist: Kommunikation. Ohne Kommunikation passiert nämlich nicht NICHTS. Es kommt zur Vertiefung des Grabens zwischen den Seiten und jeder Neuanfang, jeder weitere Versuch wird weiter erschwert. Die Fronten verhärten sich.

Ebenso ist es mit Handlungen. Wenn ich die Befürchtung habe, meine Aktion könnte falsch sein, habe ich verschiedene Möglichkeiten, damit umzugehen. Gar nichts zu tun, ist leider nicht der Beste und auch nicht der Sicherste Weg. Nehmen wir ein Beispiel: Im Bus wird jemand grundlos angepöbelt. Dieser Mensch wehrt sich und hat damit keinen Erfolg. Andere Passagiere schauen weg und schweigen. Das kann verschiedene Gründe haben – auch solche die verstehbar erscheinen. Aber im Schweigen haben sie dem Pöbler zugestimmt. Eine Enthaltung ist in diesem Fall eine Zustimmung zum Fehlverhalten des Pöblers.

Ich kann nicht nicht-handeln. Im Unterlassen nehme ich die Folgen meines Unterlassens in Kauf, was ein noch schwerwiegenderer Fehler sein kann, als wenn ich aktiv gehandelt hätte.

Es ist oft nicht leicht, in verfahrenen Situationen einen Weg zu finden, wieder miteinander ins Gespräch zu kommen. Wenn es sich dabei um einen Menschen handelt, der uns wichtig ist und am Herzen liegt, sollten wir uns ein Herz fassen und etwas sagen oder tun. Wir könnten damit beginnen, dem anderen unsere Angst, es falsch zu machen, mitzuteilen. Wir könnten weiterhin an den Anfang unserer Aktion Worte stellen, die deutlich machen, welche Intention wir haben, welches Ziel wir verfolgen, dass wir wieder zueinander finden wollen, dass wir Frieden und harmonisches Miteinander wollen und mitnichten vorhaben, unser Gegenüber zu verletzen. Nach solchen „Vorworten“ wird der andere vielleicht schon etwas anders zuhören, auch wenn unsere Worte dann holprig kommen und keineswegs perfekt sind. Und wir sollten uns klar machen, dass unser Gegenüber in den meisten Fällen in einer ganz ähnlichen Situation steckt und ähnliche Ängste hat, die ihn genauso hindern, den ersten Schritt zu tun. Würde es ihm/ihr leichter fallen, säßen wir ja nicht gemeinsam so in der Falle.
Der Weg aus dieser Falle gelingt nur, wenn eine Seite den Mut hat, einen Schritt zu tun. Dabei kann es mir helfen, wenn ich zunächst versuche, zu sehen, dass es dem anderen ähnlich gehen könnte. Dann lohnt es sich, nach Dingen zu schauen, für die es sich in dieser Beziehung zu kämpfen lohnt. Was ist schön und wertvoll zwischen uns? Ich kann das formulieren und dem anderen sagen, dass ich diese Dinge schätze und erhalten bzw. wiederbeleben möchte. Und ich kann von mir sprechen und meiner Unsicherheit. Das zeigt dem anderen, dass ich in freundlicher Absicht komme. Damit entschärfe ich die Situation und trage dazu bei, dass der andere mir zuhört und meine Absicht erkennt.

Autor: Ulrike Dauenhauer – Praxis Doppelpunkt

Wenn Streit weiter wirkt

Zanke niemals in Gedanken mit jemand. Das verbittert das Gemüt oft mehr als wirklicher Streit und ist die Ursache vieler innerer Unruhe. (Carl Hilty) - www.doppelpunkt-praxis.de

Wer kennt das nicht, dass einen ein Streit nicht loslässt? Ich erlebe hier in meiner Arbeit immer wieder Menschen, die mit jemand Streit hatten oder etwas als verletzend empfunden haben und darunter leiden. Dann werden mir Geschichten erzählt, die manchmal schon Jahre oder Jahrzehnte her sind. Aber der Mensch, der vor mir sitzt, erlebt es, als wäre es gerade jetzt, in diesem Moment, wo er mir dies erzählt. Da wird durch die Erzählung die ganze alte Geschichte wieder so aktuell, als würde sie jetzt ablaufen. Bis zu diesem Zeitpunkt, wo mir diese Geschichte erzählt wird, wurde sie meist schon etliche Male erzählt, teils hörbar für einen anderen, teils unhörbar im eigenen Kopf. Und jedesmal wirkte sie, als wäre es genau jetzt so, als hörte der Mensch die verletzenden Worte jetzt und würde den Schmerz über diese Situation jetzt erleben. Da wirkt der Streit in Gedanken also schon sehr lange und die Wunde in der Seele kann nicht heilen oder wird sogar mit der Zeit immer tiefer.

Wenn wir in Gedanken eine Auseinandersetzung fortsetzen, uns weiter grämen, weiter dem anderen grollen, weiter die Ungerechtigkeit, die uns widerfahren ist, füttern, verbittert das Gemüt. Die Seele leidet weitaus länger als nur in dem Moment, wo das Unrecht geschehen ist. Somit vertiefen wir selbst den Schmerz, wenn wir uns im Innern nicht davon weg bewegen, nicht in uns einen Weg finden, diesen Schmerz zu beenden, indem wir beginnen, ihn los zu lassen.

Dazu kann es verschiedene Wege geben. Wir schauen in unserer Arbeit hier mit jedem einzelnen, welcher Weg für ihn gangbar ist und wie er seinen inneren Frieden wiederfinden kann. Auch wenn ich mit dem anderen vielleicht keinen Frieden machen kann, kann ich ihn doch in mir selbst finden. Allein ist das nicht immer so leicht, weil wir in unseren Gedankenkreisen festhängen. Aber gemeinsam lässt sich da viel bewegen, helfen Sichtweisen von außen und bis zu dem Moment neue Impulse und auch körperliche Erfahrungen, wie es sich anders anfühlt, wenn es in einem wieder ruhiger und friedlicher wird. Nachlassender Schmerz ist spürbar. Und dieses Gefühl, dass es leichter wird, hilft, den Weg dann weiter zu gehen.

Autor: Ulrike Dauenhauer – Praxis Doppelpunkt

Entwicklung und Irrtum

Entwicklung - ein Taumel von einem Irrtum zum anderen. (Henrik Ibsen) - www.doppelpunkt-praxis.de

Als ich über dieses Zitat von Ibsen stolperte, habe ich mich gefreut. In dieser Definition wird der Irrtum zu einem selbstverständlichen Teil von Entwicklung. Das nimmt Druck und baut Stress ab. Ich muss nicht fehlerfrei sein. Ich muss in allen Überlegungen, bevor ich mich für (oder gegen) irgendetwas entscheide, nicht total sicher sein. Ich kenne viele Menschen, die sich selbst blockieren aus Angst vor Fehlern. Aber hier darf der Irrtum, der Fehler vorkommen. Er gehört ganz selbstverständlich zur Entwicklung dazu. Ich lerne durch Fehler und das nicht nur in jungen Jahren, sondern auch als Mensch mit mehreren Jahrzehnten Lebenserfahrung.

Wenn ich heute zurück blicke, hat sich einiges in meinem Leben verändert. Einstellungen zum Beispiel. Dinge, die ich in jungen Jahren für gut und richtig hielt, sehe ich heute anders. Manchmal bin ich weiter geworden, manchmal vielleicht ganz anders. Aber deswegen ist das, was ich früher gedacht und entschieden habe, ja nicht falsch, weil ich es heute anders sehe (und heute ggf. auch anders machen würde, wenn ich wieder in eine sehr ähnliche Situation käme). Was ich in meinem Leben getan habe, habe ich immer mit dem Wissen und den Kenntnissen getan, die ich jeweils hatte.

In gewisser Weise habe ich es jeweils auf die beste Art, die mir damals möglich war, getan. Später kamen weitere Erfahrungen, neue Kenntnisse, andere Blickwinkel hinzu, die die Dinge von früher in einem anderen Licht erscheinen lassen. Aber deswegen sind diese Dinge nicht falsch. Ich habe mich weiter entwickelt und da gehörten manchmal auch Irrtümer dazu.

Dies heute als Entwicklung in ihrer Ganzheit – mit Rückschlägen, Fehlern und Irrtümern – zu sehen, macht mir die Rückschau leichter. Ich darf mit mir selbst gnädig sein, auch und gerade im Hinblick auf Irrtümer. Die sind nur schlimm, wenn wir drin verharren. Wenn wir sie erkennen, sind sie gute Chancen für uns, etwas anders zu machen. Und wenn wir sie im Rückblick auf unser Leben entdecken, zeigen sie uns, wie wir uns weiter entwickelt haben, weil wir diese Dinge eben jetzt anders sehen und/oder anders machen würden.

Autor: Ulrike Dauenhauer Praxis Doppelpunkt

Klartext

Wer Klartext redet, riskiert, verstanden zu werden. - www.doppelpunkt-praxis.de

„Ja wie jetzt, ich will doch verstanden werden!“, wird wohl mancher denken. Immer? Will ich wirklich immer verstanden werden? Oder gibt es auch Situationen, wo es mir ganz recht ist, wenn ich nicht gleich verstanden werde?
Warum reden dann so viele Menschen per „man“ statt per „ich“? Warum wird dann so gerne verallgemeinert? Hinter Verallgemeinerungen und Aussagen per „man“ kann ich meine eigene Meinung verstecken. Da habe ich bei Gegenwind oder Fragen die Möglichkeit, mich rauszureden. Wenn ich spreche, höre ich mir immer auch selbst zu. Jedes Reden ist auch eine Form der Selbstbeeinflussung. Wenn ich also per „man“ spreche, vermittle ich mir selbst etwas über mich. Ich gebe mir selbst den Eindruck, dass es um eine Reihe anderer Leute geht, nicht aber um mich. Nehmen wir mal ein Beispiel: Mein Vater pflegte zu sagen: „Man müsste mal wieder das Auto waschen.“ Da war er in gewisser Weise fein raus. Er appellierte an seine Zuhörer, Frau und Kinder, gab aber keinen konkreten Auftrag oder Befehl. Es klang ganz harmlos und so erschien er sich dann vermutlich auch. Für uns war dennoch klar, dass WIR SEIN Auto waschen sollten. Das haben wir auch immer brav gemacht. Aber für sich blieb er unklar und vernebelte sein Bild von sich selbst. Das wirkte vermutlich wie ein Weichzeichner beim Foto. Er erschien sanfter für sich. Klar wäre gewesen, wenn er gesagt hätte: „Könnt ihr mir bitte das Auto waschen?“ Was aber hätte er damit gesagt? Er hätte sich ein wenig demütig gezeigt. Denkbar wäre auch gewesen: „Ihr wascht heute Nachmittag das Auto!“ Das wäre ein Befehl gewesen und hätte ihm selbst – und uns – ein anderes Bild von ihm vermittelt. Klare Hierarchie. Gegen die hätten wir vielleicht aufbegehrt. Wir hätten den Klartext verstanden und wären womöglich nicht damit einverstanden gewesen. So konnte er Teile seiner Persönlichkeit vor sich und uns verschleiern oder eben weichzeichnen.
Somit sind wir wieder bei der Frage: Will ich wirklich verstanden werden?
Wenn ich jemandem etwas Unangenehmes sagen will oder muss, ist das bisweilen nicht einfach. Ich muss damit rechnen, dass der andere darauf wenig erfreut reagiert. Auch hier habe ich die Möglichkeit, mit bestimmten Floskeln oder Formulierungen dafür zu sorgen, dass es erstmal „ganz nett“ klingt. In besonderer Form kennen wir das aus Arbeitszeugnissen, wo freundlich verpackt ziemliche Abwertungen oder negativ Bewertungen abgegeben werden können. Wenn man gelernt hat, diese Formulierungen zu lesen, versteht man sehr wohl, dass das, was im ersten Moment so positiv klingt, eine harte Kritik ist. Wer da Klartext redet, riskiert Ärger vor dem Arbeitsgericht. Das Zeugnis darf nicht offen negativ sein, schreibt der Gesetzgeber vor. Aber selbst im privaten Lebensbereich überlege ich gut, wie klar ich jemandem meine Meinung sage. Viele Menschen beenden Beziehungen heute indem sie einfach irgendwann nicht mehr reagieren. Es gibt in meinem Umfeld Menschen, da warte ich nun schon seit Monaten auf eine Mailantwort. Ich finde das traurig und verunsichernd, wenn ich nicht weiß, warum der andere nicht mehr mit mir redet. Auch wenn es nicht schön ist, zu hören, womit ich den anderen verärgert oder verletzt habe, gäbe ein klares Wort mir die Möglichkeit der Reaktion. Die aber will mein Gegenüber nicht oder fürchtet sie gar. Also wird nicht Klartext geredet.
Klartext reden heißt, ich übernehme Verantwortung für mein Reden und Handeln. Für mich ist das eine gute, aufrechte Haltung, die meine eigene Stärke zeigt und für mein Gegenüber fair ist. Ich kann mich damit abgrenzen von Menschen, die mit ihrem Handeln meine Grenzen überschreiten. Damit gewinne ich Kraft und verschaffe mir Respekt. Für mich hat Klartext viele positive Aspekte, erfordert aber auch Mut und die Fähigkeit, Dinge so zu sagen, dass ich den anderen damit nicht angreife, sondern Möglichkeiten für einen neuen Umgang eröffne.
Von daher möchte ich ermutigen, mehr Klartext zu reden. Für sich und für den anderen.

Autor: Ulrike Dauenhauer – http://www.doppelpunkt-praxis.de