Andere aufnehmen

Um andere aufnehmen zu können, muss man bei sich selbst Platz schaffen. (Hermann Gilhaus) - www.doppelpunkt-praxis.de

Geduldige Schafe passen viele in einen Stall, heißt ein Sprichwort. Nun kenne ich mich mit Schafen nicht wirklich aus. Wie viele da auf wie vielen Quadratmetern gehalten werden können oder dürfen, weiß ich nicht. Aber es geht hier ja nicht um Tierschutz, sondern um etwas Grundsätzliches. Welche Voraussetzungen braucht es, um jemanden oder etwas aufzunehmen?

Hier hat also ein Baumstumpf neue Pflanzen aufgenommen. Da wächst etwas, wo vorher eher wenig Leben war. Das finde ich faszinierend. Etwas Vorhandenes bietet offenbar einfach durch sein Dasein etwas Neuem Raum. Könnte mir das ein Beispiel sein?

Wenn ich mir neue Möbel kaufen will, muss ich meistens vorher Platz schaffen. Ich muss einen Raum haben, wo ich die neuen Möbel aufstellen kann. Dafür mache ich mir meist vorab Gedanken. Ich mache quasi Räumaktionen in meinem Kopf und versuche mir vorzustellen, wo ich die neuen Möbel aufstellen will und wie es dann aussehen wird.

Wenn ich Gäste habe, ggf. über Nacht, muss ich mir vorab überlegen, wie ich diese unterbringen kann. Da wird im Bad etwas mehr Platz gebraucht, damit auch meine Gäste ihre Utensilien unterbringen können. Da werden wir vermutlich irgendwo das Gepäck unterbringen. Das liegt – weil ich kein eigenes Gästezimmer habe – meist da, wo meine Gäste schlafen, also im Wohnzimmer. Mein Wohnzimmer sieht dann vorübergehend etwas anders aus. Da liegen dann Sachen, die nicht meine sind. Da wird es überall ein wenig enger und beide Seiten müssen damit wohlwollend umgehen, damit es eine schöne Zeit wird. Und ja, ich muss es gestehen, da gibt es Gäste mit denen es einfacher ist und solche, die ein wenig anstrengender für mich sind. Aber es sind jeweils meine Gäste und ich werde sie mit entsprechender Sorgfalt und Freundlichkeit behandeln. Wenn ich woanders Gast bin, möchte ich ja auch freundlich behandelt werden.

Ich bin also vorab gefragt, in meinem Kopf Raum zu schaffen für diese Situation. Zu den Veränderungen in meinem Lebensraum und in meinen Abläufen muss ich mir Gedanken machen und muss bereit dazu sein. Die Vorarbeit im Kopf ist wohl die wichtigste. Kann ich mich mit den vorübergehenden – oder auch mal länger dauernden – Abweichungen in meinen Ge-Wohn –heiten anfreunden?

Es gibt Menschen, die gerne Gäste haben und solche, die das eher lästig finden. Bei aller Arbeit, die Gäste auch machen, bringen sie doch immer auch neue Ideen, Erfahrungen, Erlebnisse, Gesprächsstoff und jede Menge Dinge mit, die mein Leben bereichern. Ich erfahre Neues aus anderen Familienkulturen oder auch Landeskulturen, kann teilhaben an dem, was meinem Gast so alles widerfahren ist, kann tolle Tipps bekommen und vielleicht gibt es sogar eine Gegeneinladung. Dann kann ich meinen Gast mal in seinem Umfeld erleben, kann dort Gastfreundschaft erfahren und die Art, wie sie dort gepflegt wird. Für mich sind das alles Möglichkeiten, anderen näher zu kommen, sie kennenzulernen. Damit wird mir Fremdes langsam bekannt und vertraut. Ich werde freier und sicherer. Somit sind dies alles für mich Schritte hin zum Frieden.

Ich wünsche uns allen mehr Gastlichkeit, ob nun Einheimischen oder Ausländern gegenüber.

Autor: Ulrike Dauenhauer – Praxis Doppelpunkt