Onanie zu Weihnachten

Auf die Frage des Psychoanalytikers, ob er sich selbst befriedige, antwortete der Patient: „O! Na! Nie!“

Vielleicht ist jemand enttäuscht, wenn er jetzt erfährt, dass es hier nicht um „Masturbation unterm Weihnachtsbaum“ geht. Es geht in diesem Artikel um die Onanie in ihrer ursprünglichen Bedeutung.

Seit langer Zeit wird die Onanie mit Selbstbefriedigung gleichgesetzt. Völlig zu Unrecht! Der Begriff wird auf eine Begebenheit aus dem Alten Testament (1. Mose 38) zurückgeführt, in welcher ein Mann namens Onan sich weigert, seinem verstorbenen, kinderlosen Bruder „Nachkommen zu schaffen“, mit anderen Worten: die Witwe zu schwängern. Bei der sogenannten Schwagerehe (= Levirat) sollte der so gezeugte Nachkomme als Sohn des Bruders gelten, der dadurch doch noch einen Erben hat. Onan legt sich zwar zur Witwe, vollzieht dann aber einen Coitus interruptus: er ließ seinen „Samen auf die Erde fallen“. Zu dieser Schwagerehe wäre Onan gesetzlich verpflichtet gewesen. Diese Ordnung, seinem verstorbenen Bruder einen Nachkommen zu zeugen, war sozial motiviert. Seine Weigerung war also genau genommen eine Verweigerung, soziale Pflichten zu übernehmen. Dafür habe ich den Begriff Sozial-Onanie geprägt.

Seit Jahrzehnten ist zunehmend zu beobachten, wie die Sozial-Onanie – gerade zu Weihnachten – zunimmt. Man beschenkt sich, man beschenkt andere. Oftmals wird genau aufgerechnet, wer wie viel zu bekommen hat. Seien wir ehrlich: viele Geschenke sind überflüssig. Oftmals beschenkt man Menschen, die sowieso genug von allem haben. Und die es einem in anderer Form wieder zurückschenken. Keine Frage, das ist gut für die deutsche Wirtschaft. Aber vom Sinn des Schenkens ist das doch weit entfernt. Macht es nicht viel mehr Freude, die zu beschenken, die es gar nicht erwidern können? Kinder oder Arme, Flüchtlinge und Asylanten, Arbeitslose und Obdachlose?

Wäre nicht gerade Weihnachten auch eine Gelegenheit einmal darüber nachzudenken, wo wir als Staat, als Gesellschaft, als Kommune, als Kirchengemeinde, als Familie, als Einzelner uns der sozialen Verantwortung entziehen!? Wo wir Sozial-Onanie betreiben!?
Im erweiterten Sinne gibt es schon so etwas wie materielle Selbstbefriedigung …

Ich will nicht einseitig darstellen. Zu Weihnachten gibt es auch viele Menschen, die für soziale Projekte spenden. Nicht umsonst nehmen die Bettelbriefe und Spendenaufrufe gerade in der Adventszeit flutartig zu. Diese Hilfsbereitschaft ist erfreulich, selbst wenn sie manchmal nur das schlechte Gewissen beruhigt. Wäre die vorweihnachtliche Zeit nicht eine Chance, sich umzuschauen und sich Gedanken zu machen, wo, wie und wem gegenüber wir soziale Verantwortung tragen? Und darüber hinaus: soziale Verantwortung sollte nicht nur zu Weihnachten wahrgenommen werden. Sie sollte unser tägliches Leben begleiten.

Die biblische Geschichte berichtet zwar von einem unschönen Ende für Onan. Manchmal scheint es aber heute, als ginge es den Geizkragen, Egomanen und Sozial-Onanisten irgendwie besser als den Großzügigen, Spendablen und sozial Engagierten. Ich glaube, der erste Eindruck täuscht! Die Erforschung des menschlichen Glücks hat wiederholt gezeigt, dass das alte Prinzip „Geben ist seliger als Nehmen“ auch noch heute gilt. Andere zu beglücken schafft eigenes Glück.

Na denn: viel Glück! Und gesegnete Weihnachten!

© Matthias Dauenhauer